Als ich das erste Mal in den unterirdischen Gängen des Berner Bahnhofs strandete, war ich mir nicht sicher, ob ich jemals wieder das Tageslicht sehen würde. Denn ist man als Neupendler erst einmal in die Fänge der dichten Menschenströme geraten, so ist man besser mit scharfem Orientierungssinn ausgestattet. Die immense Anzahl an Treppen, Rolltreppen und Fahrstühlen macht einem die Entscheidung schwer, wie und wo man nun dem abenteuerlichen Bau entkommen will. Mein Fazit nach fünf Monaten pendeln: Am besten gar nicht. Denn der Berner Bahnhof ist eigentlich ganz in Ordnung.
Pendeln ist absurd. Vom überfüllten Zug in den überfüllten Bahnhof, getrieben von der Hektik des Alltags. Doch der Berner Bahnhof ist im Vergleich zu anderen Schweizer Bahnhöfen selbst zu unerträglichsten Pendlerzeiten eine Art Oase der Ruhe. Von meinem Heimbahnhof in Luzern bin ich mir anderes gewohnt: Dort rennen sich die Menschen mit katholizistischem Eifer über den Haufen oder prallen gegen asiatische Reisegruppen, die mit ihren Rollkoffern vor den Perrons Barrikaden bilden.
Klar, es klingt nach einem Klischee. Aber der Berner Bahnhof ist schon um einiges lässiger als andere dieses Landes. Sinnbild dafür: Die Situation vor den Geldautomaten. Es gibt so viele davon, man wird nie zum Anstehen verdonnert. Noch extremer und menschenleerer gestaltet sich die Lage vor den Billetautomaten. Hier wurde massiv aufgerüstet. Die Kastenreihe erinnert an die Spielautomaten in Las Vegas – und die meisten der Ticketautomaten fangen wohl mehr Staub als Kunden. Wer sich zur schlimmsten Rush Hour ein wenig Privatsphäre gönnen will, schaut deshalb am besten nach, wie viel eine Reise an einen Ort seiner Wahl kostet.
Am Berner Bahnhof wird nie jemand den Hungertod sterben. Denn die Dekadenz des Bahnhofs setzt nicht nur bei der Installation neuer Automaten keine Grenzen, sondern auch bei Verpflegungsständen. Selbstverständlich: beim Brezelkönig im Bahngeschoss kann es gelegentlich zu Hotdog-Engpässen kommen. Doch davon abgesehen ist der Berner Bahnhof eine kulinarische Hochburg, zumindest auf Pendlerniveau.
Doch noch Tageslicht. Dieses bringt für Pendlerneulinge oft böse Überraschungen zum Vorschein. Zumeist taucht man an Orten auf, die man nie anvisiert hat. Das ist aber nicht weiter tragisch: Denn wohin welcher Ausgang führt, ist wohl ein Rätsel, dessen gut gehütetes Geheimnis lediglich Einheimischen und altgedienten Zugfahrern vorbehalten ist. Ich bleibe dran.